Auszüge aus dem Wohlmuth Handbuch 1979

Reaktion des Körpers auf den Elektronenstrom

Bei der Galvanisation wird er Strom dem menschlichen Körper durch zwei Elektroden zugeführt. Die mit dem Pluspol des Galvanisationsapparates verbundene Elektrode heißt Anode, die mit dem Minuspol verbundene Kahtode.

Die Ionenwanderung setzt sofort nach Einschalten des galvanischen Stromes sich in den im Stromweg befindlichen Körperteilen in Bewegung. Die Körperflüssigkeit, z.B. das Blutserum, besteht zu einem großen Teil aus einer schwachen Kochsalzlösung (NaCl und H2O). Betrachen wir hier also die Einwirkung des galvanischen Stromes auf diese Kochsalzlösung, um wenigstens die augenfälligsten Einflüsse kennen zu lernen. Kochsalz (NaCl, Natriumchlorid) löst sich leicht in Wasser (H2O) auf und zwar trennt sich hierbei teilweise das Natrium (Na) vom Chlor (Cl) in Form von Ionen. Das Natrium-Ion ist positiv geladen und das Chlor-Ion negativ, wie wir bereits in Abschnitt b, Seite 15 erkannten. Also setzt sich das Natrium-Ion in Richtung Kathode und das Chlor-Ion in Richtung auf die Anode in Bewegung. Es kommt also zu einer sog. Ionenverschiebung im Körper durch den galvansichen Strom. Diese beiden Ionenarten mit ihrer entgegengesetzten Richtung müssen auf ihrem Weg durch die mikroskopisch feinen Zellwände durchtreten.


Zellwirkung

Jedoch auch die Zellwände unterliegen in diesem Stromweg ständig der Massage hindurchtretender Ionen. Die Ionenwanderung selbst geht relativ langsam vor sich, jedoch kann man es sich wieder wie in Abschnitt b so vorstellen, als ob das eintretende Ion alle vorhandenen Ionen anstößt und somit am Ende des Stromweges wieder ein Ion herausgedrängt wird. Auf der ganzen Länge des Stromweges strömen alle negativen Ionen zur Anode und die positiven zur Kathode. Jede im Stromweg liegende Zelle wird von diesen Strömen erfaßt und zur Ladungsverschiebung gezwungen.
Alle Stoffwechselvorgänge sind Ionenwanderungen durch Zellwände hindurch (Osmose) und wir haben ja auch kennen gelernt, daß bei allen Lebensvorgängen elektrische Ströme maßgeblich beteiligt sind.
Nun wird uns auch verständlich, dass die Galvanisation die Stoffwechselvorgänge anregt und beschleunigt, in dem träge gewordene Zellwände zum Ionenaustausch gezwungen werden. Durch die anregende Wirkung der Galvanisation werden auch die vom Körper selbst erzeugten elektrischen Ströme beeinflußt. Auf Seite 18 lernten wird die Art der Erzeugung der Körperströme kennen. Diese Ströme, die bei jedem Lebensvorgang verbraucht werden und sich über den osmotischen Austausch von zahlreichen Stoffen von Zelle zu Zelle wieder ergänzen, kann man natürlich nicht direkt durch die Galvanisation verstärken. Indirekt gelingt dieses aber recht gut dadurch, daß die Ergänzung der „Körperbatterien“ mit den erforderlichen „Batteriechemikalien“ durch die Zellwand-Osmose vom galvanischen Strom unterstützt wird.


Ionen-Weg im Körper

Verfolgen wir einmal den Weg der Ionen durch den Körper bei einer Galvanisation: Nehmen wir an, daß die Elektronen-Umhüllungen mit etwas salzhaltigem Wasser angefeuchtet wurden.
In dem Körper werden im Augenblick der Anschaltung des Galvanisations-Apparates alle Natrium-Ionen von der Kathode angezogen. Auf der Kathode befinden sich viele Elektronen und die Natrium-Ionen haben je ein Elektron zuwenig. Die negative Kathode und die positiven Natrium-Ionen ziehen sich also an. Ein Natrium-Ion aus dem Körper durchdringt also langsam alle in der Stromrichtung liegenden Zellwände, durchdringt die aufgeweichte Haut und die Stoffumhüllung der Elektrode, dann berührt das Natrium-Ion den Metallkern der Elektrode, welche Elektronen im Überschuß besitzt. Das Natrium-Ion nimmt begierig das ihm eigentlich fehlende Elektron aus der Kathode auf und wird sofort zum Natrium-Atom, d. h. es verliert die Ion-Eigenschaften und bekommt wieder die chemischen Eigenschaften des Natriummetalls. Natrium (Na) verbindet sich mit Wasser (H2O) sofort zu Natriumhydroxyd und es bleibt ein restliches Wasserstoffatom (Na OH und H) übrig. Dieses Wasserstoffatom lehnt sich an ein anderes gleicher Art an und tritt als Wasserstoffgas (H2) von der Metallkathode in die Luft über. An der Kathode entsteht also bei der Galvanisation Wasserstoffgas und in der Elektrodenflüssigkeit sammeln sich geringe Mengen von Natronlauge (NaOH, Natriumhydroxyd) an.
Während die Natrium-Ionen sich in Richtung auf die Kathode in Bewegung setzten, wandern die Chlor-Ionen an die Anode. Auch sie durchdringen alle Zellwände und gelangen schließlich zur Anode, der positiven Elektrode, an welcher ein Mangel an Elektroden herrscht. Sofort gibt das Chlor-Ion an die Anode ein Elektron ab, verliert damit die Ion-Eigenschaften und wird wieder zu einem Chlor-Atom. Das Chlor-Atom ist in diesem Zustand sehr aggressiv und da sich der ganze Vorgang in der wassergetränkten Stoffumhüllung der Elektrode abspielt, verbinden sich zwei Chlor-Atome (Cl2) mit zwei Wasserstoff-Atomen (H2) des Wassers (H2O) und werfen somit den Sauerstoff (O) heraus. Es bilden sich zwei Salzsäure-Atome (2HCl) und das übrige Sauerstoff-Atom tritt in die Luft aus. An der Anode entsteht also bei der Galvanisation Sauerstoffgas und in der Elektrodenflüssigkeit sammeln sich geringe Mengen von Salzsäure an.

Schon an dieser vereinfachten Darstellung des Stromflusses sehen wir, wie kompliziert die Erläuterung der Einwirkung des galvanischen Stromes auf den menschlichen Körper ist. Denn im Körper werden nicht nur die Kochsalz-Ionen in Bewegung gesetzt (wenn diese auch anzahlmäßig die größte Rolle spielen), sondern noch zahlreiche andere Ionen die in den Körpersäften enthalten sind. Wir erkennen auch aus der obigen Darstellung, dass die Behandlungselektroden Stoffumhüllungen tragen müssen, da sonst die Gasbildungen direkt auf der Haut entstehen und zu Hautreizungen führen würden. Mit Hilfe der Stoffumhüllungen werden die unerwünschten Nebenprodukte des Stromes weitgehend von der Haut ferngehalten, so daß sie ihre ätzende Wirkungen nur an der Oberfläche des Metallkernes der Elektroden entfalten können.


Ionenverschiebung

Bei Betrachtung der Abb. 3 könnte man zu dem Schluß kommen, daß nach einiger Zeit alle Natrium-Ionen an der Kathode und alle Chlor-Ionen an die Anode gewandert sein müssen. Nun ist aber die Anzahl der im Körper vorhandenen Ionen viel zu groß und die am Körper anwendbaren Strommengen zu klein, als daß dieser Fall jemals eintreten könnte, ganz sicher tritt jedoch eine Ionenverschiebung auf mit dem Erfolg, daß nach der Galvanisation in dem Gebiet der Kathode mehr Natrium-Ionen und in dem Gebiet der Anode mehr Chlor-Ionen vorhanden sind. Wir müssen bei dieser Betrachtung aber daran denken, daß die Einsetzung der Kochsalzlösung anstelle der Körperflüssigkeit nur eine vereinfachende Maßnahme ist.


Innerer Stoffechsel

Die vereinfachte Darstellung der Ionenwanderung im Salzwasser kann für die Verhältnisse im menschlichen Körper natürlich nur sozusagen ein Schemabild darstellen. Die im menschlichen Körper befindlichen Eiweißkörper, Gallertkörper (Kolloide) und sonstige sehr kompliziert zusammengesetzen Moleküle werden durch den elektrischen Strom ebenfalls bewegt und beeinflußt. Wenn auch diese Körper selbst keine Ionen sind (dazu sind sie viel zu groß) und daher auch keine elektrische Ladung besitzen, so lagern sich an ihrer Oberfläche vermutlich Ionen an und daher kommt es zu einer Bewegung dieser Körper. Es ist nicht möglich, den Weg der zahlreichen im menschlichen befindlichen komplizierten Stoffe so zu verfolgen und darzustellen. Wir müssen uns hier also mit der Erkenntnis begnügen, daß auch diese Stoffe dem Einfluß des galvanischen Stromes unterliegen und daß durch den Strom diese Stoffe von Zelle zu Zelle verschoben und ausgetauscht werden. Dieses Auswechseln der Stoffe bezeichnet man mit innerem Stoffwechsel und dieser Stoffwechsel ist verantwortlich für die Aufrecherhaltung der Lebensfunktion der Zellen. Erlahmter natürlicher innerer Stoffwechsel wird durch den bei der Galvanisation auftretenden galvanischen inneren Stoffwechsel wieder angeregt und normalisiert.


Polwirkung

Durch diese verschiedenartige Ionenverschiebung ergibt sich für uns fühlbar in der Umgebung der Anode eine Herabsetzung der Erregbarkeit und der Erregungsleitfähigkeit, während in der Umgebung der Kathode die normale Erregbarkeit und Erregungsleitfähigkeit verstärkt wird. Die Umgebung der Anode wird außerdem etwas entwässert, während die Kathodenumgebung stärker als vor der Galvanisation mit Wasser durchsetzt ist. Mit obiger Ionenverschiebung geht nämlich auch noch ein Wassertransport von der Anode zur Kathode einher, auf den wir im nächsten Abschnitt noch zu sprechen kommen werden.
Die Ionenverschiebung ist der Grund für die je nach Krankheitsbild bei der Galvanisation verordnete Anwendung der Anode oder Kathode an den verschiedenen Körperteilen. Die anregende Wirkung der Kathode und die beruhigende Wirkung der Anode wird bei der Verordnung der Elektroden-Anlagestellen beachtet. Ebenso hat sich bei Körperlängsdurchflutungen gegen Herzerkrankungen als günstig erwiesen, wenn die Anode oben und die Kathode unten am Körper angebracht wird.


Durchblutung, Blutdrucksenkung, Ausscheidung

Eine weitere Begleiterscheinung der Galvanisation im menschlichen Körper ist die Erweiterung der Blutgefäße sowie die gute Durchblutung aller stromdurchflossenen Partien noch stundenlang nach der Galvanisation und damit zusammenhängend eine beträchtliche Senkung des Blutdruckes. Die Drüsentätigkeit in der Nähe der Kathode wird merkbar verstärkt, während in der Nähe der Anode liegende Drüsen geringere Funktionen bei der Galvanisation aufweisen. Hiermit kann durch entsprechende Verordnung auf einfachste Weise die Drüsentätigkeit willkürlich beeinflusst werden.
Die Magen-Darm- und Nierensekretion wird im allgemeinen durch Galvanisation stark angeregt und die vermehrte Harnstoff-Ausscheidung ist mit ein Grund für die therapeutischen Erkrankungen.


Schmerzlinderung

Eine weitere allgemeine Wirkung des galvanischen Stromes ist eine deutlich spürbare Schmerzverminderung und wenn damit zunächst auch noch keine Heilung verbunden zu sein braucht, so ist doch diese schmerstillende Wirkung der Galvanisation eine wichtige Hilfe. Der Patient bekommt durch diese Schmerzstillung Vertrauen zu der Therapie und unterwirft sich gerne den zur Heilung erforderlichen Maßnahmen.


Dosierung

Die Einwirkung des galvanischen Stromes auf die körpereigenen Ströme ist auf dem Umweg über die Anregung der als „Batterien“ wirkenden Körperzellen gegeben. Zu einem direkten und unmittelbaren Einfluß auf Organe, Nerven und Muskeln sind jedoch die in der Therapie verwendeten Ströme nicht stark genug. Man wird sich hüten, Galvanisation mit so starken Strömen durchzuführen, dass die Muskeln zu spielen beginnen, die Tastkörperchen der Haut Schmerzempfindungen an das Gehirn senden oder daß gar der Strom des Herzschlages beeinträchtigt wird. Wie bei jeder Medizin eine zu starke Dosis schadet, so muß der in der Therapie verwendete Strom auch so klein gehalten werden, dass eine Schädigung in keinem Falle möglich ist. Bei Stromstärken bis zu einigen Milliampère und Elektroden mittlerer Größe liegt der auf einem einzelnen, mikroskopisch feinen Nervenstrang entfallende Stromanteil weit unter den Werten, die der körpereigene Strom in diesem Nervenstrang erreicht, um z. B. einen Muskel zum Anziehen zu bringen. Lediglich bei Kopfgalvanisationen kann manchmal ein schwacher Lichtblitz beim Ein- oder Ausschalten des Stromes im Auge entstehen und in diesem Falle beinahe die Intensität körpereigener Ströme in einer Nervenbahn erreicht werden. Es scheint also, dass das Auge elektrisch betrachtet das empfindlichst menschliche Organ ist. Sehr wesentlich ist der Einfluß von Stromschwankungen auf den menschlichen Körper. Galvanisation mit Stromschwankungen erzeugt bei empfindlichen Personen auch dann nervöse Unruhe, wenn die Schwankungen fast unmessbar klein sind. Galvanischer Strom, der durch Spezialbatterien hergestellt wird, ist vollkommen frei von Stromschwankungen und den damit verbundenen unangenehmen Nebenwirkungen.


Nichts Körperfremdes

Wir haben in diesem Abschnitt die physikalisch chemischen Einwirkungen des galvanischen Stromes auf den menschlichen Körper kennen gelernt. Die Wirkung des Elektronen- bzw. Ionenstromes als Zellmassage, die Ionenverschiebung im Körper und die Wärmewirkung sind die Ursachen für die erfolgreiche Anwendung der Galvanisation zu Heilzwecken. Nachdem wir in den vorhergegangenen Abschnitten den überragenden und allgegenwärtigen Einfluß des Elektrons nicht nur auf die tote, sondern auch auf die lebende Welt erkannten, können wir nunmehr auch die Heilerfolge der Galvanisation deuten. Wichtig ist die Erkenntnis, dass der galvanische Strom nichts körperfremdes ist und daher bei richtiger Dosierung in seiner allgemeinen Wirkung auf den Körper nicht sehr stark von den körpereigenen Strömen abweicht, während andererseits die körpereigenen Nervenströme in ihren speziellen Aufgaben nicht gestört werden.


Verstärkte Osmose

Bei jedem Bad in Heilquellen, bei jedem Umschlag mit Kammillenaufguß oder dergl. findet zwischen Körper und Außenflüssigkeit ein Ionenaustausch statt. Besonders stark ist in diesen Fällen die reine Flüssigkeitsverschiebung von der Seite mit dünner Flüssigkeit zur konzentrierten Seite und der Ionenaustausch ist nur gering, aber ebenfalls vorhanden. Beim Baden in Sole z. B. wird in der Hauptsache dem Körper Wasser entzogen, beim Baden in reinem Wasser dagegen nimmt der Körper beträchtliche Flüssigkeitsmengen auf. Beim Umschlag z. B. mit Kamillenaufguß dringen mit dem Wasser auch Ionen des wirksamen Medikamentes in den Körper ein, jedoch nur in geringem Umfang. Der galvanische Strom gestattet uns, diese natürlichen osmotischen Vorgänge um ein Vielfaches zu verstärken und überhaupt erst größere und dosierbare Medikamenten-Mengen in den Körper zu bringen.
Die Einwirkung der Galvanisation auf den menschlichen Körper kann also berechtigterweise als bewährte Anregung körpereigener Lebens- und Heilprozesse bezeichnet werden.

Quelle: Wohlmuth Handbuch 1979